Wochenrückblick KW6Von unbedenklichen Trojanern und versehentlicher Zensur

Telegram möchte mit Werbung Geld verdienen, Brandenburg diskutiert Daten der Luca App für Strafverfolgung zu nutzen – und TikTok führt eine Untertitel-Funktion ein, die sich äußerst seltsam verhält. Rückblick auf eine ereignisreiche Woche.

Vielleicht kann bald auch dieses Chamäleon auf einen Job als Super-Recogniser hoffen. – Vereinfachte Pixabay Lizenz GKorovko

Mit aller Kraft stemmen sich die großen Tech-Unternehmen gegen das Recht auf Reparatur. Dabei beschreiben ihre Lobbyist:innen bizarre Bedrohungsszenarien: Nicht genehmigte Reparaturen würden die Geräte anfälliger für Hacking machen. Allerdings dürfte auch ein weiterer winziger Faktor die Bedenken der Hersteller befeuern: So drohen der Industrie geringere Umsätze, wenn die Kund:innen ihre eigenen Geräte regelrecht reparieren könnten statt zum Neukauf gezwungen zu sein.

In Israel dürfen Drohnen nun erstmals auch im zivilen Luftraum fliegen. Rüstungskonzerne sehen das wohl gern: So können sie künftig Drohnen auch an Innenministerien und den Landwirtschaftssektor vermarkten. Die Konzerne hatten für eine solche Genehmigung lobbyiert.

Es ist längst ein Running Gag geworden, dass digitale Produkte mit sogenannter Künstlicher Intelligenz angepriesen werden. In einem neuen Sammelband „Fake-AI“ erklären Forscher:innen, warum viele KIs mehr Schein als Sein sind. Die Vision einer allgemeinen Künstlichen Intelligenz sei in etwa so plausibel, „wie mit dem Bau einer immer höheren Leiter den Mond zu erreichen“. Alexander Fanta hat das Buch rezensiert.

Staaten, die nach Handys greifen

Letzte Woche stellte die ungarische Datenschutzbehörde fest, dass an den Hunderten Pegasus-Einsätzen aus ihrer Sicht nichts auszusetzen war. Pegasus ist eine Überwachungssoftware, mit der Staaten Handys abhören können. Auf einer Liste mit Telefonnummern potentieller Pegasus-Opfer in Ungarn standen Journalist:innen, Anwält:innen und Bodyguards des Präsidenten. Der Chef der ungarischen Zweigstelle von Amnesty International warnt schon seit längerer Zeit vor dem Versagen der staatlichen Kontrollen. In einem Interview mit Chris Köver berichtet er von den Schlupflöchern im ungarischen Überwachungsnetz und den fragwürdigen Rechtfertigungsversuchen der Datenschutzbehörde. Den Artikel gibt es auch auf Englisch.

Weitere Neuigkeiten zu Pegasus gibt es aus Israel: Dort soll die Polizei Bürger:innen ausgespäht haben. Nun hat eine israelische Zeitung Namen von bekannten Opfern veröffentlicht. Unter den Betroffenen sind zivilgesellschaftliche Gruppen, ranghohe Beamt:innen und Personen aus dem Umfeld von Ex-Premierminister Benjamin Netanyahu.

Ein gesteigertes Interesse an den Geräten der eigenen Bürger:innen hat auch die EU. Sie will sogenannte Chatkontrollen einführen, um Kindesmissbrauch zu bekämpfen. Dabei würden Geräte massenhaft nach potentiell illegalen Aufnahmen durchsucht. Allerdings geht eine solche Maßnahme zur Massenüberwachung mit erheblichen Konsequenzen daher. Aus diesem Grund haben sich nun 45 europäische Bürgerrechtsorganisationen gegen das Vorhaben gestellt.

Neues von Netzpolizei.org

Super-Recogniser – das klingt wie eine neue Filmreihe aus dem Marvel-Universum. Tatsächlich handelt es sich dabei um Menschen, die extrem gut darin sind, Gesichter zu erkennen. Seit 2020 setzt die hessische Polizei diese ein, um die eigenen Datensätze nach gesuchten Personen zu durchforsten. Nun wird ihr Einsatz ausgeweitet.

In Brandenburg möchte das Justizministerium die Daten der Luca App für die eigene Strafverfolgung nutzen. Das wird nicht nur aus den eigenen Reihen kritisiert. Schon seit langem kritisieren Datenschützer:innen, dass eigentlich zur Bekämpfung der Pandemie erhobene Daten nicht zur Strafverfolgung zweckentfremdet werden sollten.

Von Brandenburg in die weite Welt: Autoritäre Staaten nutzen die internationale Polizeiorganisation Interpol zur politischen Verfolgung von Oppositionellen. Welche Rolle die EU dabei spielt hat Matthias Monroy aufgeschrieben.

Noch mehr Neuigkeiten aus der EU gibt es von der Polizeiorganisation Europol. Die hat im vergangenen Jahr vom BKA Meldungen zu mehr als 14.000 Inhalten erhalten, weil Provider extremistische Inhalte löschen sollten. Im Jahr 2019 waren es noch rund 8.000.

Die Suche nach der großen Liebe und dem großen Geld

Ältere zahlen bei Tinder mehr – das ist das Fazit einer Studie von Mozilla und Consumers International, die Alexander Fanta zusammengefasst hat. In der Dating-App können Nutzer:innen gegen Bezahlung mehr Likes verteilen. Doch nicht alle zahlen bei Tinder Plus gleich viel.

Geld verdienen möchte auch Telegram – und das ist für den Messenger durchaus etwas Neues. Damit sich Telegram eines Tages zumindest finanziell selbst tragen kann, soll Werbung geschaltet werden. Die Bedingungen sind aber kurios – so sollen Interessierte erst einmal zwei Millionen Euro Budget überweisen, bevor sie auch nur eine Anzeige schalten. Sebastian Meineck und Anna Biselli sind der Sache auf den Grund gegangen.

Während Telegram reiche Werbekund:innen sucht, schmeißt es Verschwörungsideolog:innen von der Plattform. Die Kanäle von Attila Hildmann sind zumindest in Deutschland nicht mehr einsehbar – und zwar wegen lokaler Gesetze. Sonst löscht Telegram nur sehr zurückhaltend Inhalte. Die Aktion könnte etwas damit zu tun haben, dass die Bundesregierung offenbar erstmals Kontakt zu Telegram-Mitarbeitenden herstellen konnte.

Auch TikTok hat in Inhalte eingegriffen – nach eigenen Angaben aber unabsichtlich. So wurden in einer testweise eingeführten Funktion für automatische Untertitel Wörter wie „Arbeitslager“ und „Umerziehungslager“ mit Sternchen zensiert. TikTok zufolge handele es sich um veraltete englische Sprach-Schutzmaßnahmen“.

Don’t do anything stupid!

Mach‘ nichts Dummes – dieser Leitsatz wird in den Social-Media-Guidelines der britischen BBC verwendet. In eine ähnliche Richtung gehen geplante Social-Media-Regelungen für Mitarbeiter:innen des WDR. Intern regt sich Widerstand, die Sorge ist ein Einschnitt in die Meinungsfreiheit. Wir haben den umstrittenen Entwurf veröffentlicht.

Der Kampf gegen Online-Werbung, die auf massenhaft gesammelten Daten basiert, geht in die nächste Runde. Der neuste Tritt kommt von der belgischen Datenschutzbehörde, die letzte Woche eine wegweisende Entscheidung über die Datensammelei der Werbeindustrie getroffen hat. Ingo Dachwitz hat die Sache kommentiert: Zeit, sich endlich von diesem toxischen Geschäftsmodell zu verabschieden.

Schon im Jahr 2013 berichtete der SPIEGEL, dass der Handy-Nachrichtenverlauf der damaligen Kanzlerin Angela Merkel aus juristischer Sicht nicht privat ist, sondern in die Akten gehört. Nur was wurde aus der Forderung? Heute – nach 16 Jahren Angela Merkel ist keine einzige Nachricht archiviert. Auch das neue Bundeskanzleramt hüllt sich in Schweigen.

Mit einer neuen Podcast-Folge hinein ins Wochenende

Empfehlen möchten wir noch unsere neue Podcast-Folge Off the Record . Diesmal lassen wir die Spendenkampagne des letzten Jahres Revue passieren und sprechen wir über eure unfassbar tolle Unterstützung. Sie macht es möglich, dass wir auch in diesem Jahr kritisch über Netzpolitik berichten können. In diese Sinne: Schönes Wochenende!

1 Ergänzungen

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